In den Credo-Betrachtungen stoßen wir mit dem Satz „Ich glaube an den Herrn Jesus Christus“ auf den Abschnitt, der vielleicht der spannendste im ganzen Glaubensbekenntnis ist. Er enthält die Aussagen über die Beziehung zwischen Jesus und Gott. Was aber ist daran so spannend? Und wie kann ich erklären, was hier auf dem Spiel steht?

Es war eine Schiffskatastrophe, die mir geholfen hat. Erinnern Sie sich noch? Am 12. August des Jahres 2000 sank ein hochmodernes russisches Unterseeboot, die Kursk. 18.000 Tonnen schwer, lag es 14 Monate lang in knapp 100 Meter Tiefe. Es hatte die ganze Besatzung mit in den Tod gerissen, ungefähr 120 Mann.

Nach einigem Hin und Her entschlossen sich die Verantwortlichen, das Boot zu heben. Das gelang im Oktober des Jahres 2001, eine technische Meisterleistung. Von einer Hebeplattform wurden sechsundzwanzig Stahltrossen zum Wrack hinuntergelassen. Taucher verankerten sie fest am Schiffskörper, was technisch ziemlich schwierig war. Jede einzelne Trosse musste so stark sein, dass sie 900 Tonnen halten konnte. Pro Stunde wurde das Wrack um zehn Meter gehoben. Nach zehn Stunden war es an die Plattform herangezogen, und die Schleppfahrt nach Murmansk begann. Im dortigen Schwimmdock erblickte die „Kursk“ wieder „das Licht der Welt“. Die Bergung war gelungen. Aber was da geborgen worden war, war natürlich noch immer ein Wrack.

Das Schicksal der Kursk hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schicksal der Menschheit. Wir Menschen, jeder einzelne von uns, aber auch das Menschheitsgesamt, wir sind einem schwer beschädigten Schiff vergleichbar, das langsam aber sicher auf den Meeresgrund niedersinkt und dort liegen bleibt. Dort, in der Todestiefe, erreichen wir einen Endzustand der Ohnmacht, aus dem wir uns nicht selbst befreien können. Doch gibt es auch für uns eine Bergung, so ähnlich wie es die Bergung der Kursk war. So ähnlich! Denn die Kursk blieb trotz ihrer Bergung ein Wrack, während unsere Bergung aus der Macht des Todes neues Leben bedeutet, ein Leben, das den Tod nicht mehr kennt, eine wirkliche Erlösung. Es gibt jemanden, der den hoffnungslosen Zustand unserer Todverfallenheit nicht resignierend hinnimmt. Wir Menschen sind ihm so viel wert, dass er uns birgt, dass er uns rettet. Ein Schiff kann man bergen aus Neugierde über die Unfallursache, weil man die Leistungskraft der Technik demonstrieren will oder um aus den gehobenen Schätzen - nach Abzug der Bergungskosten - noch Geld zu machen. Gott birgt die Menschen, weil er nicht an den Tod preisgeben will, was er liebt.

Nun aber wird es spannend. Denn die Frage lautet: „Wie macht Gott das? Wie gelingt es ihm, diese seine Bergungsaktion zum Erfolg zu bringen?“ Diese Frage führt uns zum Credo zurück. In den Passagen, die wir nun betrachten werden, geht es - bildlich gesprochen - um die Qualität, die die Stahltrossen haben müssen, um eine solche Bergung zu bewältigen. In Wirklichkeit handelt es sich natürlich nicht um mehrere Trossen, sondern um eine einzige, und es handelt sich auch nicht um eine Stahltrosse, sondern um eine Person, eine Rettergestalt, Taucher und Trosse in einem, Jesus Christus. Was sind nun die entscheidenden Anforderungen an seine Qualität als Retter und Erlöser?

Die Anforderungen sind diese: Er, Jesus Christus, muss dort fest verankert sein, wohin er das Wrack ziehen soll, also ans Licht, auf's Trockene, oder richtiger gesagt: zu Gott. Er muss aber auch am Wrack selbst, also an der Menschheit, so fest verankert sein, dass der Widerstand ihres Todesgewichtes ihn nicht aus der Halterung reißen kann oder dass ein Teil des Wracks auf dem Meeresgrund liegen bleibt. Schließlich muss er, der Erlöser, in sich selbst so beschaffen sein, dass er unter der Last nicht zerreißt.

Das sind die Qualitätsanforderungen. Aber wie sieht nun die Realisierung aus? Wie ist diese Trosse konstruiert? Die Konstruktionsformel lautet: Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott. Wahr meint: 100 Prozent. Jesus Christus ist also 100 Prozent Gott und 100 Prozent Mensch. Aber, ist das nicht eine unmögliche, widersinnige Formel? Wir werden sehen. Die Kirche hatte schon früh einen sechsten Sinn für die Haltbarkeit dieser Rettungstrosse entwickelt. Ihr wurde im Laufe der Zeit immer klarer, dass bei jedem anderen Mischungsverhältnis die Bergung misslingen würde. Diese Klarheit gewann sie in harten und langwierigen Auseinandersetzungen, in denen die gesamte Skala zwischen 100 Prozent Gott und Null Prozent Mensch und 100 Prozent Mensch und Null Prozent Gott durchdiskutiert wurde, ein Klärungsprozess, der hauptsächlich in den ersten vier Jahrhunderten lief, aber heute wieder aufzuflammen scheint. Wer darüber Genaueres wissen will, müsste diese Phase der Kirchen- und Glaubensgeschichte studieren, eine komplizierte, aber atemberaubend spannende Sache. Damals wie heute sollte die Sprache der Verkündigung zeitgemäß und modern sein. Damals wie heute gab es die Gefahr, dass sich die christlichen Überzeugungen über Gott, den Menschen und die Welt von den vorherrschenden nichtchristlichen Lehren einfach eingemeinden ließen. Die Christen aber hatten gute Leute in ihren Reihen, die mit einem wachen Gespür für diese Gefahr begabt waren und sich einer solchen Eingemeindung widersetzten. Man bediente sich zwar der nichtchristlichen, philosophischen Begriffe, aber man tat es so, dass der Kern des christlichen Glaubens nicht verdorben wurde. Der christliche Kerngedanke aber ist der, dass Erlösung nicht zustande kommt, wenn die rettende Trosse nicht fest in Gott und nicht fest in der Menschheit verankert ist oder wenn sie aus einer Legierung besteht, die reißt.

Nehmen wir nun die rettende Trosse Jesus Christus genauer unter die Lupe. Wir sprechen im Credo: „Ich glaube an den Herrn Jesus Christus.“ Dieser Mann aus Nazaret in Galiläa mit dem Namen Jesus ist ein ganz normaler Erdenbürger, ein Mensch wie Du und ich. Die äußeren Daten seines Lebens braucht man nicht glauben, sie sind objektiv gesichert. Aber sein Name hat eine Bedeutung. Jesus heißt nämlich Gott rettet. Was hat es also auf sich mit dem Mann, der diesen Namen trägt, noch dazu, weil ein Engel Gottes es so wollte? Durch seinen Namen wird Jesus nahe an Gott herangerückt, an den Gott, der sich ein Volk erwählt hat, das er liebt, das aber auch ein Volk ist, das diese Liebe nicht tief genug begreift und zu Seitensprüngen neigt, ein Musterbeispiel für das, was man tun muss, um sich unglücklich zu machen: eine Liebesbeziehung zerstören. Dass es nicht zur endgültigen Katastrophe kommt, liegt nur an Gott, an dem Gott, der rettet. Der Name Jesus bringt also seinen Träger in engste Verbindung mit Gott selbst und seinem Rettungs- und Erlösungswillen.

Jesus von Nazaret wird Christus genannt. Dieses griechische Wort heißt Gesalbter, auf Hebräisch Messias. In Israel war das Bewusstsein lebendig, dass Gott zur Rettung seines Volkes einen Bevollmächtigten schicken werde, eine unwiderstehliche Herrschergestalt, die zur Übernahme des hohen Amtes gesalbt werden würde, wie es bei Königen, Priestern und Propheten Brauch war. Sein hohes Amt bestand darin, die Friedensherrschaft Gottes auf Erden zu proklamieren und endgültig durchzusetzen. Mit dieser Gestalt wird Jesus identifiziert. Er ist der Messias, der Christus. Zur Enttäuschung vieler entpuppt er sich aber nicht als die unwiderstehliche Herrschergestalt, die alles Gottwidrige in die Knie zwingt, sondern als ein Diener, der in Mitleid und Liebe vor dem schwachen, sündigen Menschen niederkniet. Er identifiziert sich mit der Gestalt des leidenden Gottesknechtes, die im Alten Testament vorausgeahnt und vorausgesagt wurde. Der Retter wird mit dem Tod konfrontiert. Die Bewährung des Messias, die Bestätigung seines göttlichen Auftrags, besteht darin, dass er die Übermacht des Todes außer Kraft setzt. Dieses geschieht in seiner Auferstehung von den Toten. Dass er selber sterben muss und wirklich tot ist, heißt im Bild von der Bergung der Kursk: Die rettende Stahltrosse kommt wirklich in der Zone der Hoffnungslosigkeit an, dort wo das Wrack liegt, und wird mit ihm so fest verbunden, dass die vollständige Bergung gelingen wird. Dass er aber von den Toten aufersteht, heißt: In ihm ist göttliches Leben.

Jesus von Nazaret ist der Herr. Die Übertragung dieser Bezeichnung auf Jesus rückt ihn noch näher an Gott heran. Denn Herr, Kyrios, Dominus, auf Hebräisch Adonai, ist der Deckname für Gott im Alten Testament. Aus Ehrfurcht sprach man den Namen, unter dem Gott sich dem Mose am brennenden Dornbusch offenbart hatte, nicht aus. Statt dessen sagte man „Herr“. Gemeint war der immer anwesende allmächtige Schöpfer aller Dinge und der allbarmherzige Richter und Erlöser der Menschen. Im Neuen Testament wird natürlich Gott-Vater Herr genannt, aber eben auch Jesus, der sich in seinem Reden und Tun als ein Herr von göttlicher Macht erweist. Die Übertragung dieses Titels auf Jesus hatte übrigens eine brisante politische Folge: die Christen verweigerten dem römischen Caesar, dem Weltenherrn, die von ihm beanspruchte göttliche Verehrung. Sie kannten nur einen einzigen Herrn: Jesus Christus.

Aus der Sendereihe zum Glaubensbekenntnis von Radio Vatikan; gesendet am 6. April 2002.